Klaasohm - Brauch auf Borkum
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Der Klaasohm – Brauchtum auf Borkum

von Redaktion
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Wie ein „Friesland-Krimi“ die Insel-Traditon aufgreift

Am 13. Januar 2018 flimmerte eine neue Folge der Krimiserie Friesland vom ZDF über den Bildschirm mit dem geheimnisvollen Titel: Der blaue Jan. Vorbild für das Drehbuch war der alte Brauch des Klaasohm, der auf der ostfriesischen Insel Borkum bis heute gefeiert wird.

Gehüllt in ein bizarres Federgewand, mit Schnabelmaske, Regenhut und spitzer Harpunenharke in der Hand, trieb der blaue Jan im TV-Film sein Unwesen und ließ das Team um den schrulligen Kommissar Brockhorst so richtig ins Schwitzen kommen. Nicht nur viele Zuschauer aus Niedersachsen haben sich nach dem Krimi die Frage gestellt, ob es diesen Brauch in der gezeigten Art und den blauen Jan tatsächlich gibt.

Die Antwort lautet: Ja! Allerdings nicht im Spielort Leer, sondern auf Borkum. Und dort soll er gemäß der Insulaner bleiben, als reine Inseltradition. Daher wird auch keine Werbung für den Brauch, so wie z.B. für die Walpurgisnacht im Harz, gemacht.

Drehbuchautorin Sandra Lüpkes, die selbst auf der ostfriesischen Insel Juist aufgewachsen ist, hat den Klaasohm-Brauch der Insel Borkum aufgegriffen. Dabei hat sie zusammen mit Drehbuchautor Jürgen Kehrer gleich einen weiteren interessanten Aspekt von Brauchtum mit in den Film eingebunden: Den Umgang mit alten Traditionen, z.B. durch die touristische Vermarktung.

Klaasohm – ein ganz spezieller Nikolaus auf Borkum

Den Klaasohm gibt es nur auf der ostfriesischen Insel Borkum, es ist ein Nikolausabend der ganz besonderen Art. Entstanden ist der einzigartige Brauch wohl im 18. Jahrhundert, als die Männer noch auf Walfang gingen. Der Name setzt sich aus der niederländischen Bezeichnung für Nikolaus – Klaas – und ehrfürchtiger Onkel – Ohm – zusammen und meint den Onkel Nikolaus.

In der Nacht vom 05. auf den 06. Dezember feiern die Borkumer das Klaasohmfest zu Ehren des Heiligen Nikolaus, dem Schutzpatron der Seeleute, und verbinden damit auch die Legende vom wilden Klaasohm, der jedes Jahr in unheimlicher Gestalt am Großen Kaap aus dem Sand wieder lebendig wird und wutentbrannt über die Insel hereinbricht. Er ist riesig, mächtig, zeigt einen gefiederten Kopf und besitzt lange Hörner.

Für die Insulaner ist das Klaasohmfest, das von einer Reihe an festgelegten Abläufen und einem spektakulären Ritual lebt, noch wichtiger als das Weihnachtsfest. Mit dem bekannten Nikolausfest der übrigen Welt hat es gerade mal gemein, das Lebkuchen mit im Spiel ist. Ansonsten geht es rau, laut und mit ordentlichem Rabatz zur Sache. Die besondere Tradition gilt der Rückeroberung der Insel durch die Männer. Denn während die Walfänger von Borkum monatelang auf See waren, hatten die Frauen das Zepter als Familienoberhaupt in der Hand. Dem wird am Klaasohmabend mit Jagen und Kuhhornschlägen auf das Hinterteil ein Ende bereitet.

Sechs ledige und sportliche Männer, die dem Verein Borkumer Jungens e. V. angehören müssen, werden jedes Jahr als Klaasohme ausgewählt – zwei kleine, zwei mittlere und zwei große. Das Klaasohm-Fest beginnt nachmittags am Schuppen der Inselbahn, vor dem sich das Inselvolk versammelt und geduldig abwartet, bis die Klaasohme ihren Kampf um die Rangordnung (unter Ausschluss der Öffentlichkeit versteht sich) absolviert haben.

Dann öffnet sich das Tor und die maskierten Männer schreiten, angeführt vom „Wiefke“, unter tösendem Gejole heraus. Sie tragen ein weißes Hosenkostüm mit roten Streifen und auf dem Kopf eine gigantische gruselige Schafspelz-Maske mit Möwenfedern, die etwa einen halben Meter hoch ist und bis zu 35 kg wiegt. Da sie daraus nur wenig sehen, werden die Klaasohme vom Wiefke – einem Mann in einem roten Schürzenkleid und Seehundfellmaske geleitet.

Dann setzt die Truppe zum Dauerlauf durch die Straßen an, um Frauen von der Insel zu fangen und mit dem Kuhhorn zu „verhauen“. Die Frauen sollten sich dann schleunigst in Sicherheit bringen. Das Katz und Maus Spiel beginnt. Hat es eine erwischt, bekommt sie nach dem Akt ein Lebkuchengebäck namens Moppe. Mädchen, verheiratete Mütter und ältere Damen werden verschont. Bei ihnen zeigt sich der Klaasohm von seiner liebevollen Seite und verschenkt Lebkuchen.

Während des Zuges kehren die Klaasohme zwischendurch in ausgewählten Häusern ein und tanzen bei einer Trinkpause in den Kneipen auf den Tischen. Der finale Höhepunkt findet auf einem zentralen Platz statt, auf dem sich das Inselvolk erneut versammelt. Die Klaasohme klettern samt Wiefke in voller Montur auf eine hohe Litfaßsäule, gebärden sich noch einmal lauthals und mit wilden Gesten als Herren der Insel, bevor sie sich einer nach dem anderen in die Menge stürzen. Man sagt, die Klaasohme haben das Stagediving erfunden. Zuletzt springt das Wiefke. Danach ist der Spuk vorbei, der Klaasohm wieder in seinem Sandgrab verschwunden bis zum nächsten Jahr.

Klaasohm: umstrittener Brauch

Das Klaasohm-Brauchtum wird nicht selten als sexistisch und frauenfeindlich bezeichnet, gerade wegen der Schläge auf den Hintern mit dem Kuhhorn, die blaue Flecken oder rote Stellen hinterlassen können, denn die Gestalten sollen nicht zimperlich sein. Auch Frauen von der Insel sehen diesen Aspekt durchaus. Fragt man sie, heißt es allerdings: „Ja, das ist nun mal der Brauch“.

In der Geschichte des weltweiten Brauchtums finden sich zahlreiche Bräuche, bei denen „Gewalt“ gegen Frauen ein Thema ist und sie werden trotzdem bis heute praktiziert. Von den Insulanern und dem Verein gibt es dazu keine Meinungen oder Stellungnahmen. Für sie ist und bleibt der Klaasohm ihr höchstes Fest, das auch nur die Inselbewohner etwas angeht. Darüber hinaus machen die Frauen freiwillig mit, es ist ein Spaß mit einem leichten Prickeln, im Vordergrund steht das Jagd- und Fangspiel.

Der Klaasohm mag kein Marketing

Wer sich genauer mit dem Brauch befasst, der versteht, warum die Legende im Friesland Krimi als „Blauer Jan“ bezeichnet wird, abgeändert ist und nicht auf Borkum spielt. Der Klaasohm will keine medialer Hit oder ein Besuchermagnet sein. Das wichtigste und identitätsstiftende Fest der Borkumer soll nicht der kommerziellen Vermarktung in alle Richtungen und auch nicht dem Tourismus dienen, sondern ein Ereignis von und für die Inselbewohner sein. Darauf weist der Verein sogar mit einer speziellen Proklamation hin.

Es erscheinen keine Berichte, Fotos und Videos vom jährlichen Fest in den Medien. Was sich an Informationen bietet, stammt von Touristen und Journalisten, die den Klaasohm miterlebt haben. Dennoch lässt es sich nicht vermeiden, dass diese Haltung natürlich Neugier schürt. Mit „Verboten“ erreicht man schließlich meist das Gegenteil. Auf der anderen Seite kann man auch die Insulaner verstehen, wenn sie sich ein Stück kultige Privatsphäre bewahren wollen. Selbstverständlich können Besucher dem Klaasohm-Fest beiwohnen, jedoch ohne den Anspruch, das Brauchtum so zu verstehen wie es die Borkumer tun.

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