Tage nach dem Zusammenbruch des Regimes von Präsident Baschar al-Assad in Syrien ist in Deutschland eine Debatte über eine mögliche Rückkehr syrischer Migranten und Asylsuchender in ihre Heimat entbrannt.
In Deutschland haben prominente Persönlichkeiten der Rechten, von der konservativen Oppositionspartei Christlich-Demokratische Union (CDU) bis zur rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD), schnell Pläne vorgeschlagen, die Syrer zur Rückkehr in ihre Heimat ermutigen sollten.
Weitere linksgerichtete Stimmen von den Sozialdemokraten (SPD) und den Grünen, den beiden verbliebenen Parteien in der heutigen Minderheitsregierung in Deutschland, warnen vor drastischen Maßnahmen.
Nach Angaben des Bundesinnenministeriums leben derzeit 974.136 syrische Staatsangehörige in Deutschland. Etwa 712.000 von ihnen wurde der Flüchtlingsstatus zuerkannt, darunter Asylsuchende mit anhängigen Anträgen und Asylsuchende, deren Anträge abgelehnt wurden, denen aber aus humanitären Gründen vorübergehender Schutz gewährt wurde.
Die überwiegende Mehrheit kam zwischen 2015 und 2016 unter der ehemaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Deutschland, die den berühmten Satz prägte: „Wir schaffen das“ oder „Wir schaffen das“ als Antwort auf die Situation.
Am Montag kündigte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an, die Entscheidung über Asylanträge syrischer Staatsbürger vorübergehend einzufrieren – ebenso wie Behörden in Österreich, Italien, Norwegen, den Niederlanden, der Schweiz, Frankreich, Belgien und dem Vereinigten Königreich.
Anreize für syrische Flüchtlinge zur Ausreise?
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte: „Das Ende der brutalen Tyrannei des syrischen Diktators Assad ist eine große Erleichterung für viele Menschen, die unter Folter, Mord und Terror gelitten haben.“
Sie fügte hinzu: „Viele Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz gefunden haben, haben nun endlich Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre syrische Heimat und den Wiederaufbau ihres Landes.“
Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn, ein hochrangiges Mitglied der oppositionellen CDU, die derzeit die Umfragen vor der Bundestagswahl im Februar anführt, nahm dies zum Anlass, finanzielle Anreize für die Ausreise syrischer Flüchtlinge aus Deutschland vorzuschlagen.
„Als ersten Schritt würde ich sagen, dass wir ein Angebot machen“, sagte er am Montag dem Sender RTL/ntv. „Wie wäre es, wenn die Bundesregierung sagen würde: Wer zurück nach Syrien will, dem chartern wir Flugzeuge und geben ihm eine Startzahlung von 1.000 Euro.“
Markus Söder, Bayerns Ministerpräsident und Vorsitzender der bayerischen Schwesterpartei der CDU, der Christlich-Sozialen Union (CSU), sagte, dass auch Syrern mit offiziell anerkanntem Asylstatus „Anreize“ zur Ausreise geboten werden sollten.
„Deutschland hat vielen Menschen in Not Zuflucht geboten“, sagte er am Dienstag im Podcast „Table Briefings“. „Wenn sich die Situation ändert und der Asylgrund faktisch wegfällt, gibt es keinen rechtlichen Grund mehr, im Land zu bleiben.“
CDU-Forderungen werden von AfD und BSW aufgegriffen
Söders Äußerungen wurden von Alice Weidel von der rechtsextremen AfD bestätigt, die seit Februar 2021 vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) offiziell als „verdächtige extremistische“ Organisation eingestuft wird.
„Für viele Menschen aus Syrien gibt es keinen Grund mehr zu fliehen“, sagte sie Stern Magazin. „Natürlich sollten diese Menschen umgehend in ihre Heimat zurückkehren.“
Mit Blick auf freudige Jubelszenen unter Syrern in deutschen Städten seit dem Sturz Assads wiederholte Weidel in den sozialen Medien: „Wer in Deutschland das ‚freie Syrien‘ feiert, hat offenbar keinen Grund mehr zur Flucht. Er sollte sofort nach Syrien zurückkehren.“
Sahra Wagenknecht, eine ehemalige Kommunistin, deren namensgebende neue Sahra-Wagenknecht-Allianz (BSW) als „linkspopulistisch“ und pro-russisch beschrieben wurde, stimmte dieser Aussage bezeichnend zu Stern: „Ich erwarte, dass die Syrer, die die Machtergreifung der Islamisten feiern, so schnell wie möglich in ihr Heimatland zurückkehren.“
SPD und Grüne fordern Mäßigung
Andere Stimmen in Deutschland fordern jedoch Mäßigung.
„Nach anderthalb Tagen halte ich das für eine unangemessene innenpolitische Debatte“, sagte Katrin Göring-Eckardt von der regierenden Grünen-Fraktion dem RBB-Hörfunk in Berlin.
Der SPD-Politiker Michael Roth warnte davor, sich auf eine solche Diskussion einzulassen. Es sei noch zu früh, um zu sagen, wie die Zukunft Syriens nach 13 Jahren brutalen Bürgerkriegs aussehen werde.
Roths SPD-Kollege Dirk Wiese fügte hinzu, dass „die Lage vor Ort weiterhin unklar“ sei und kritisierte Spahns Äußerungen: „Die Äußerungen von Jens Spahn erweckten den Eindruck, dass er im Idealfall schon vorgestern Leute zurückgeschickt und das Flugzeug selbst geflogen hätte.“
Auch Spahns CSU-Kollege Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister, vertrat eine sanftere Linie Deutschlandfunk Radio: „Wer sich hier gut integriert hat, ist herzlich eingeladen zu bleiben.“
Im westlichen Bundesland Rheinland-Pfalz, wo rund 50.000 Syrer leben, sagte Landesintegrationsministerin Katharina Binz von den Grünen dem Lokalsender SWR: „Es gibt viele (syrische Flüchtlinge), deren Kinder hier zur Schule gehen, die einen Vollzeitjob haben und die Angst haben werden, wenn plötzlich Diskussionen darüber aufkommen, ob sie das Land vielleicht eines Tages verlassen müssen – was völlig unrealistisch ist.“
Zur Lage in Syrien sagte sie: „Es ist immer noch nicht klar, ob sich die neuen Machthaber etablieren können, wie sie mit Minderheiten umgehen werden und ob sie ein demokratisches oder ein autoritäres System aufbauen.“
FDP schlägt von Deutschland geleitete „Syrien-Konferenz“ vor
Der Sonderbeauftragte der Bundesregierung für Migrationsabkommen, Joachim Stamp von der wirtschaftsfreundlichen Freien Demokraten (FDP), ehemals Mitglied der Regierungskoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz, sagte, Assads Sturz „könnte möglicherweise neue Perspektiven in der Zusammenarbeit im Bereich Migration eröffnen“.
Er warnte aber auch, dass es „noch zu früh ist, mit der Planung konkreter Maßnahmen zu beginnen.“
FDP-Generalsekretär Marco Buschmann forderte die Einberufung einer „internationalen Syrien-Konferenz“ durch Deutschland und sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Für viele Menschen, die zu uns geflüchtet sind, könnte dies die Chance auf eine Rückkehr in die Heimat eröffnen.“