Ein ehemaliger Mitarbeiter der DDR-Geheimpolizei Stasi sollte wegen eines Mordes, den er vor etwas mehr als 50 Jahren begangen haben soll, zu einer zwölfjährigen Haftstrafe verurteilt werden, argumentierten Staatsanwälte in Berlin am Montag.
Worum geht es in dem Fall?
Es geht um die Ermordung des Polen Czesław Kukuczka am 29. März 1974 während des Kalten Krieges, als die deutsche Hauptstadt in zwei Teile geteilt wurde.
Kukuczka hatte in der polnischen Botschaft in Ostberlin damit gedroht, eine Bombe bei sich zu haben, was sich später als Bluff herausstellte, und eine sichere Passage über den Eisernen Vorhang nach Westberlin gefordert.
Er versuchte zu fliehen, um sich Verwandten in den USA anzuschließen.
Die Beamten spielten mit und gaben ihr Einverständnis vor, stellten die nötigen Unterlagen und Genehmigungen zur Verfügung, alarmierten aber auch die Stasi.
Die Anklage wirft dem damals 31-jährigen Angeklagten vor, er habe sich verkleidet auf Kukuczka aufgelauert und ihm aus nächster Nähe in den Rücken geschossen, kurz bevor er am Bahnhof Friedrichstraße die Grenze überquert hätte.
Der Prozess wurde erst durch das Aufkommen neuer Beweise möglich. Die Staatsanwälte sagen, dass Informationen, die Historiker 2016 in den Stasi-Archiven gefunden hatten, den Angeklagten zunächst mit dem Mord in Verbindung brachten.
Später machten neue potenzielle Zeugenaussagen – von Schülerinnen, die auf einem Tagesausflug nach Ost-Berlin waren – zu den Einzelheiten von Kukuczkas Tod ein Strafverfahren realisierbar, auch Jahrzehnte später. Im vergangenen Jahr wurde erstmals Anklage erhoben.
Die Anklage sagt, die Anklage sei erwiesen, die Verteidigung ist anderer Meinung
Gegen Ende des Verfahrens argumentierte Staatsanwältin Henrike Hillmann, dass die Vorwürfe gegen den Verdächtigen vor Gericht erhärtet worden seien.
Verteidigerin Andrea Liebscher argumentierte jedoch, dass der Mann nicht nachweislich der Mörder sei, obwohl die Verteidigung nicht bestreite, dass er damals für die Stasi gearbeitet habe.
Sie sagte außerdem, dass der Fall als Mord behandelt werden sollte, aber nicht als das deutsche Äquivalent eines Mordes ersten Grades in den USA, und dass dadurch die Verjährungsfrist für die Tötung abgelaufen wäre.
Die Verteidigung forderte daher einen Freispruch. Der Angeklagte selbst äußerte sich während des Prozesses nicht zu den Angeklagten.
Die wahrgenommene Art der Tötung kann für das Urteil ausschlaggebend sein
Lediglich eine Verurteilung wegen eines Tötungsdelikts, das auf Deutsch als „heimtückisch“ beschrieben wird, was frei übersetzt „heimtückisch“ oder „böswillig“ oder „kaltblütig“ heißen könnte, würde in diesem Fall auch im Jahr 2024 noch ein Strafmaß nach sich ziehen.
Mehrere in der Vergangenheit nachgewiesene Stasi-Morde wurden nur als deutsches Äquivalent eines Totschlags behandelt, meist mit der Begründung, dass die Mörder behaupteten, sie hätten Befehle befolgt und nicht in böswilliger persönlicher Absicht gehandelt.
In diesem Fall sagt die Staatsanwaltschaft, dass Faktoren wie die Täuschung und die Art und Weise, wie Kukuczka in den Rücken geschossen wurde, für die schwerere Verurteilung wegen Mordes in Frage kommen.
Hillmann argumentierte, dass der Angeklagte Kukuczka in den Arm oder das Bein hätte schießen können und dennoch seinen Befehl zur Neutralisierung der vom Polen ausgehenden Bedrohung ausgeführt hätte.
Sie argumentierte auch, dass der Angeklagte bewusst versucht habe, seine Karriere voranzutreiben, und verwies auf Stasi-Unterlagen, aus denen angeblich hervorgehe, dass er kurz nach der Tötung wegen Taten, die auf dasselbe Datum zurückzuführen seien, vorgeladen worden sei.
Die Verteidigung entgegnete, dass das Opfer angesichts der Bombendrohung, mit der es versucht hatte, sich den Weg nach Westen zu sichern, nicht völlig ahnungslos über die Risiken gewesen sein konnte, denen es ausgesetzt war, als er angeschossen wurde.
Nach dem aktuellen Gerichtstermin wird mit einem Urteil am 14. Oktober gerechnet.