Deutschland uneinig über die Stationierung amerikanischer Langstrecken-Marschflugkörper

von Otto Hofmann
3 Minuten Lesedauer

Die in dieser Woche getroffene Entscheidung, zur Abschreckung Russlands regelmäßig US-Langstreckenraketen in Deutschland zu stationieren, ist in Berlin sowohl auf Zustimmung als auch auf Kritik gestoßen.

Bundeskanzler Olaf Scholz verteidigte die Ankündigung, die am Mittwoch am Rande des Nato-Gipfels in Washington erfolgte, als „eine notwendige und wichtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt“ im Sinne der „Abschreckung“ und „Friedenssicherung“.

Im Zuge dieser Maßnahme werden erstmals seit Ende der 1990er Jahre wieder US-Marschflugkörper mit großer Reichweite auf deutschen Boden zurückkehren. Dazu gehören SM-6- und Tomahawk-Raketen sowie in der Entwicklungsphase befindliche Hyperschallwaffen mit einer größeren Reichweite als jene, die sich derzeit in den Arsenalen der europäischen Streitkräfte befinden.

So erklärte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius im Deutschlandfunk: Mit der Stationierung werde eine „sehr ernste Lücke“ in der deutschen Verteidigungsfähigkeit geschlossen.

„Der Einsatz dieser fortschrittlichen Fähigkeiten wird das Bekenntnis der Vereinigten Staaten zur Nato und ihren Beitrag zur integrierten europäischen Abschreckung demonstrieren“, heißt es in einer gemeinsamen deutsch-amerikanischen Erklärung.

„Eine ausreichende Abschreckung“

„Wir setzen uns seit langem mit der Frage auseinander, wie wir mit konventionellen Mitteln eine Abschreckung gewährleisten können, die unser eigenes Bündnisgebiet, aber auch Deutschland sichert“, sagte Bundeskanzler Scholz am Donnerstag vor Journalisten in Washington.

„Diese Entscheidung war seit langem in Vorbereitung und kommt für niemanden, der sich mit Sicherheits- und Friedenspolitik befasst, wirklich überraschend“, fügte er hinzu.

Auch die konservative Oppositionspartei CDU unterstützte diesen Schritt. Angesichts der derzeitigen Unbeliebtheit von Scholz‘ Mitte-Links-Koalition könnte sie zum Zeitpunkt der Stationierung der Raketen im Jahr 2026 wieder an der Macht sein.

“Das ist eine gute Nachricht, die zeigt, dass die USA zu ihren Sicherheitsgarantien stehen”, sagte CDU-Verteidigungssprecher Johann Wadepuhl der DW. “Wir brauchen eine ausreichende Abschreckung gegenüber Russland.”

Raketensystem auf einem LKW montiert
Zur Abschreckung Russlands sollen in Deutschland erneut Langstreckenraketen stationiert werden

Kritik aus Scholz‘ eigener Partei

Auch aus der Regierungskoalition und selbst aus Scholz‘ eigener SPD gab es Kritik an der Entscheidung. Ein Abgeordneter warnte vor einem neuen „Wettrüsten“.

“Die Welt wird dadurch nicht sicherer”, sagte SPD-Politiker Ralf Stegner der Funke Mediengruppe. “Im Gegenteil: Wir geraten in eine Spirale, in der die Welt immer gefährlicher wird.”

Die Grünen, die zusammen mit der neoliberalen FDP Teil von Scholz‘ Koalition sind, erklärten, sie und die deutsche Öffentlichkeit seien nicht ausreichend über die Entscheidung informiert worden und forderten eine Erklärung.

„Es kann Ängste schüren und bietet Raum für Desinformation und Hetze“, sagte die sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Sara Nanni, der „Rheinischen Post“. Über die konkrete Bedrohungslage durch Russland habe Scholz nur wenige Auskunft gegeben.

Katharina Dröge, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte dem Sender RTL, Scholz müsse „diese Fragen öffentlich darlegen und beantworten“.

Kritik von ganz links und ganz rechts

Auch von den Rändern der deutschen Politik kam Widerstand gegen die Ankündigung, etwa von der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD), der traditionell sozialistischen Linkspartei (Die Linke) und dem neuen linken Sahra Wagenknecht-Bündnis (BSW).

Sahra Wagenknecht
Sahra Wagenknecht vom gleichnamigen linken Bündnis BSW ist gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und die Stationierung amerikanischer Marschflugkörper in Deutschland

„Bundeskanzler Scholz handelt nicht im deutschen Interesse“, sagte Tino Chrupalla, Co-Vorsitzender der AfD, die weiterhin deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine ablehnt.

“Er lässt zu, dass das Verhältnis Deutschlands zu Russland nachhaltig beschädigt wird und wir in das Muster des Ost-West-Konflikts zurückfallen”, sagte Chrupalla. Durch die Stationierung der US-Raketen werde “Deutschland zur Zielscheibe”.

Die Linkspartei nannte die Entscheidung “höchst problematisch”. Sahra Wagenknecht, die Politikerin, nach der der neue BSW benannt ist, sagte dem Spiegel, der Schritt “erhöhe die Gefahr, dass Deutschland selbst zum Kriegsschauplatz wird”.

In den 1980er Jahren löste die Stationierung amerikanischer Pershing-Raketen in Westdeutschland, das damals an der Front des Kalten Krieges stand, weitverbreitete pazifistische Demonstrationen aus. Selbst nach der deutschen Wiedervereinigung blieben bis in die 1990er Jahre US-Raketen in Deutschland stationiert, bevor sie langsam abgezogen wurden.

Die USA haben derzeit in Deutschland, das selbst keine Atommacht ist, Atomwaffen stationiert. Allerdings ist die Reichweite ihrer konventionellen Waffen begrenzt.

Russland, dessen groß angelegte Invasion in der Ukraine im Februar 2022 die westliche Wiederaufrüstung beschleunigt hat, sagte, es plane „Reaktionsmaßnahmen“, um die seiner Ansicht nach „sehr ernste Bedrohung“ durch die NATO einzudämmen.

mf/lo (AFP, Reuters)

Entdecken Sie mehr Themen