- Deutschland führt Kontrollen an den Grenzen zu Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden ein
- Berlin: Die vorübergehenden Maßnahmen seien notwendig, um die illegale Migration zu bekämpfen und die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen
- Die Kontrollen bleiben zunächst für die nächsten sechs Monate in Kraft und können verlängert werden
- Grenzkontrollen gab es bereits an Deutschlands Ost- und Südgrenze
Nachfolgend lesen Sie mehr zum ersten Tag der neuen Grenzkontrollen an Deutschlands West- und Nordgrenze:
Raphael Bossong, Experte für europäische Migrationspolitik bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, erklärte im Gespräch mit der DW, dass die Wirksamkeit der deutschen Grenzkontrollen umstritten sei.
„Ich denke, in der Praxis ist es ziemlich umstritten, ob diese Art selektiver Kontrollen wirklich einen großen Unterschied machen werden, wenn es darum geht, die Zahl der Verbrecher oder möglicherweise sogar Terroristen zu senken oder sie zu fassen“, sagte Bossong.
Die Botschaft der Grenzkontrollen sei, so Bossong, „Deutschland ist nicht mehr offen“.
Den Druck auf die deutsche Regierung hätten die Maßnahmen allerdings nicht verringert, sagte Bosslong.
“Politisch bleibt der Druck bestehen. Auch in Brandenburg hält die Opposition bei der Landtagswahl an ihrer Forderung nach einer radikaleren Rückführungspolitik an den Grenzen fest”, sagte er.
Die deutsche Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang hat davor gewarnt, die vorübergehenden Grenzkontrollen an Deutschlands West- und Nordgrenzen zu dauerhaften zu machen.
Solche Maßnahmen müssten immer verhältnismäßig sein und hier gebe es erhebliche Bedenken, sagte Lang am Montag in Berlin.
Die Polizei verfüge hierfür über zu wenig Personal und die Unternehmen äußerten Bedenken hinsichtlich steigender Kosten in den Lieferketten.
„Das kann deshalb kein Dauerzustand sein“, sagte Lang.
Die Ausweitung der Kontrollen an Deutschlands Grenzen zu Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden hat in einigen Nachbarländern Beschwerden ausgelöst.
Die Maßnahmen gelten zunächst für sechs Monate. Sie sind Teil eines Sicherheitspakets, das eingeführt wurde, nachdem eine Reihe mutmaßlich islamistischer Anschläge Besorgnis über die Einwanderung ausgelöst hatte.
An der deutsch-österreichischen Grenze bei Neuhaus am Inn, wo es schon seit Jahren Kontrollen gibt, sagte DW-Reporterin Giulia Saudelli, dass die Polizei nicht jedes Auto anhalte, das nach Deutschland einreist.
Da viele Pendler den Übergang täglich benutzen, musste die Polizei eine gezieltere Strategie anwenden.
“Sie suchen nach Menschen, die illegal nach Deutschland einreisen wollen. Manchmal werden hier beispielsweise Menschen angehalten, für die ein Einreiseverbot gilt, aber auch Menschen, die nach Deutschland einreisen wollen, aber nicht die richtigen Papiere dafür haben. Sie haben zum Beispiel kein Visum. Dann werden sie hier angehalten und müssen nach Österreich zurückkehren.”
“Sie neigen dazu, größere Transporter oder Fahrzeuge anzuhalten, die aussehen, als könnten sie Menschenschmugglern gehören, die versuchen, Menschen aus Österreich nach Deutschland zu bringen.”
Durch die Kontrollen an der Grenze zu Dänemark drohen Tausende Grenzgänger nun zweimal täglich einer Kontrolle.
Pendler müssen sich auf dem Weg nach Dänemark, wo es bereits seit Jahren Grenzkontrollen gibt, schon seit langem mit Kontrollen auseinandersetzen.
Der jüngste Schritt Berlins hat bei der kleinen dänischen Minderheit im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein Kritik hervorgerufen.
Der Vorsitzende der Sozialistischen Linkspartei übte scharfe Kritik an der Bundesregierung für die verstärkten Grenzkontrollen und die Migrationspolitik allgemein.
„Grenzkontrollen lösen kein einziges Problem, sie schaffen nur neue“, sagte Parteichefin Janine Wissler.
Die Maßnahmen würden zu „gigantischen Staus“ führen, sagte sie. Es sei absehbar, dass die Kontrollen vor allem Menschen treffen würden, deren Erscheinungsbild nicht als deutsch zu gelten habe.
Wissler prophezeite, die Maßnahme werde eine „europäische Kettenreaktion“ auslösen.
Schon bald, so die Expertin, „könnten die Schlagbäume überall wieder hochgezogen werden“ und Zehntausende Flüchtlinge könnten in Ländern wie Italien oder Griechenland festsitzen.
Wissler sagte vor der Landtagswahl in Brandenburg am Sonntag, dass die Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz in der Migrationsfrage die Politik der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) verfolge.
Dies werde jedoch nicht funktionieren, sagte sie. Egal, wie sehr sich Innenministerin Nancy Faeser in dieser Frage als Hardlinerin positionieren würde, “es wird der Rechten nie genug sein”, sagte Wissler.
Das deutsche Innenministerium hat die Vorstellung zurückgewiesen, dass die Polizei bei den erweiterten Kontrollen an den deutschen Grenzen auf Racial Profiling zurückgreift – also gezielt Menschen wegen ihres vermeintlich ausländischen Aussehens kontrolliert.
Eine Ministeriumssprecherin betonte am Montag in Berlin, „eine rassistisch motivierte Umsetzung polizeilicher Maßnahmen wäre völlig inakzeptabel und zudem gesetzeswidrig“.
Bei Racial Profiling handele es sich „um eine besonders verabscheuungswürdige Form der Diskriminierung, die die betroffenen Menschen stigmatisiert und ihr Selbstwertgefühl erheblich schädigen kann“, so die Sprecherin weiter.
Ein solches Vorgehen könne „zu einer Entfremdung im Verhältnis zu den Sicherheitsbehörden führen“, was die Polizei vermeiden wolle.
„Wir wollen, dass die Menschen den Sicherheitsbehörden vertrauen können.“ Die Polizei verfüge über andere Kriterien.
Besonders Lieferwagen seien ins Visier geraten, weil sie häufig von Schmugglern genutzt würden. “Das hat relativ wenig mit dem Fahrer zu tun”, sagt sie. Andere Kriterien seien bestimmte “Standorte, Zeiträume, Altersstrukturen oder auch auffälliges Verhalten”.
Von einem Kontrollpunkt an der Grenze zu Frankreich nahe der Stadt Saarbrücken aus erklärte DW-Reporterin Lucia Schulten, wie einige der Kontrollen aussahen.
„Die Autos fahren langsamer, und wenn die Polizisten beschließen, ein Auto zu kontrollieren, fahren sie hier an den Straßenrand und müssen bis vor die Polizeiwache fahren, wo ihre Papiere kontrolliert werden“, sagte sie.
“Seit wir hier stehen, haben wir gesehen, wie einer dieser Überlandbusse kontrolliert wurde. Polizisten sind da reingegangen und haben die Papiere aller dort Sitzenden kontrolliert und einen Mann mitgenommen, der auf die Polizeiwache musste.”
Schulten erklärte, dass der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz am Wochenende mit anderen europäischen Staats- und Regierungschefs gesprochen habe und einige von ihnen ihre Besorgnis über die Kontrollen zum Ausdruck gebracht hätten.
“Viel wird wahrscheinlich davon abhängen, wie diese Kontrollen aussehen werden und was sie für den freien Personen- und Warenverkehr innerhalb der Europäischen Union bedeuten und ob sie ihn behindern werden oder nicht.”
Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Bundespolizeigewerkschaft, sagte dem Sender RBB24 Inforadio, jeder, der die Grenze nach Deutschland überquere, müsse künftig mit Kontrollen rechnen.
Er räumte allerdings ein, dass es der Polizei angesichts der Länge der Landesgrenzen realistischerweise nicht möglich sein werde, jedes Fahrzeug anzuhalten.
Deutschlands Westgrenze betrage 1.400 Kilometer, zusätzlich zu den 2.400 Kilometern an der Ost- und Südgrenze, wo die Kontrollen bereits stattfänden, sagte er dem Sender am Montagmorgen.
Rosskopf sagte, „aufgrund der Länge der Grenze sind dauerhafte und intensive Kontrollen nicht möglich.“
„Es bleibt abzuwarten, wie erfolgreich es bei der Eindämmung von Migration und Menschenschmuggel sein wird“, sagte er in dem Interview am Montagmorgen.
Als Berlin die neuen Grenzkontrollen einführte, nahm die deutsche Polizei drei Männer fest, die mit Haschisch im Kofferraum ihres Autos unterwegs waren.
Ein Sprecher sagte, die drei hätten bei ihrer Einreise aus den Niederlanden in das deutsche Bundesland Niedersachsen einen Kontrollpunkt auf der Autobahn A30 nahe der Stadt Bad Bentheim umgangen.
Sie überquerten zwar die Grenze, wurden jedoch in der Nähe der Stadt Rheine, etwa 30 Kilometer östlich im Nachbarbundesland Nordrhein-Westfalen, aufgehalten.
Gegen alle drei soll am Montagmorgen im Zusammenhang mit dem Cannabisraub ermittelt worden sein.
Die neuen Kontrollen finden an Grenzübergängen zu Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg und den Niederlanden statt.
An den Grenzen Deutschlands zu Polen, Tschechien, Österreich und der Schweiz gab es bereits Kontrollen.
Im Zuge ihrer Bemühungen, nach den jüngsten extremistischen Angriffen gegen illegale Migration und Kriminalität vorzugehen, hat die deutsche Polizei damit begonnen, sämtliche Landgrenzen des Landes zu überwachen.
Bisher wurden nur Reisende kontrolliert, die an den deutschen Landesgrenzen im Osten und Süden ankamen. Nun sollen für mindestens sechs Monate auch die Grenzen im Norden und Westen kontrolliert werden.
Dazu zählen Grenzübergänge zu Dänemark, den Niederlanden, Belgien, Luxemburg und Frankreich.
Deutschland liegt im Zentrum des Schengen-Raums, der aus 29 europäischen Ländern besteht, die die Kontrollen an ihren Binnengrenzen abgeschafft haben und in denen nur an den Außengrenzen und Flughäfen ein Reisepass erforderlich ist.