Er war der erste, der in Moskau aus dem Flugzeug stieg – und von Russlands Präsident Wladimir Putin in die Arme geschlossen wurde. Wadim Krasikow, in Deutschland als “Tiergartenmörder” bekannt, stand auf der Liste der im Westen wegen Verbrechen verurteilten russischen Staatsbürger, die im Rahmen des Gefangenenaustauschs am Donnerstag freigelassen wurden.
Mehrmals haben Moskau und der Westen Spione, Verräter, Doppelagenten und Wirtschaftskriminelle ausgetauscht. Krasikov aber ist ein Mörder, der in Deutschland zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Der Kreml gab am Freitag zu, dass er Mitglied des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB war.
Dass dem Kreml daran ein besonderes Interesse liege, Krasikov nach Russland zurückzuholen, machte Putin mehrfach deutlich. So bezog sich der russische Präsident in einem Interview mit dem US-Journalisten Tucker Carlson Anfang Februar klar auf Krasikov, als er von “einer Person” sprach, “die aus patriotischen Gefühlen einen Banditen in einer der europäischen Hauptstädte eliminiert hat”.
Also, wer genau ist Vadim Krasikov?
“Tiergartenmord” im Herzen Berlins
Am 23. August 2019 beging Krasikov am helllichten Tag einen Mord in einem kleinen Berliner Park – dem Kleinen Tiergarten, nur einen kurzen Fußweg vom Deutschen Bundestag entfernt. Sein Opfer, Zelimkhan Khangoshvili, war ein georgischer Staatsbürger und ehemaliger tschetschenischer Feldkommandeur, der in Kriegen gegen Russland gekämpft hatte. Russland betrachtete ihn als Terroristen und hatte ihn auf die Liste der meistgesuchten Personen gesetzt. Khangoshvili beantragte Asyl in Deutschland, nachdem 2015 in Georgien ein Mordanschlag auf ihn verübt worden war.
![Ein Mann steht hinter einem Polizeiabsperrband und wendet der Kamera den Rücken zu. Er trägt ein schwarzes T-Shirt, einen Ohrhörer und eine schwarze Splitterschutzweste mit der Aufschrift „Polizei“. Im Hintergrund sind unscharf ein blaues Spurensicherungszelt inmitten von Grün und zwei Personen in weißen Overalls zu sehen.](https://www.dein-niedersachsen.de/wp-content/uploads/Vadim-Krasikov-Putins-Trumpfkarte-beim-Gefangenenaustausch.jpg)
Krasikov näherte sich Khangoshvili von hinten, fuhr mit dem Fahrrad, zog dann vor mehreren Zeugen eine Pistole mit Schalldämpfer und schoss dreimal auf sein Opfer. Die Behörden verhafteten den Mörder wenige Minuten später, weil Passanten ihn dabei beobachtet hatten, wie er sein Fahrrad in die Spree warf, sich im Unterholz umzog und eine Perücke ablegte. Er wurde im Besitz eines russischen Passes gefunden, der auf den Namen Vadim Sokolov ausgestellt war, mit einem Schengen-Visum der französischen Botschaft in Russland und einer Pistole, in der noch neun von 15 Kugeln waren.
Schwierige Ermittlungen, langwieriger Prozess
Auf die wahre Identität des Mörders kamen die deutschen Ermittler eher durch Zufall. 2014 übergaben russische Behörden ihren ausländischen Kollegen bei Interpol ein Foto mit der Bitte um Mithilfe bei der Suche nach einem gewissen Vadim Krasikov. Dieser wurde damals verdächtigt, in Russland einen Geschäftsmann ermordet zu haben.
Unterdessen recherchiert das Online-Journalistenkollektiv Bellingcat ergab, dass weder im russischen Passregister noch in den Listen der russischen Steuerbehörde eine Person mit dem Namen und den persönlichen Daten in Sokolovs Pass existierte, bis sie wenige Wochen vor Khangoshvilis Ermordung in beiden Datenbanken auftauchte. Ein Zeuge sagte aus, dass nur Geheimdienste in der Lage wären, einen Avatar einer nicht existierenden Person zu erstellen.
Der Prozess gegen Krasikov begann am 7. Oktober 2020 vor dem Landgericht Berlin und dauerte 14 Monate. Am 15. Dezember 2021 wurde er für schuldig befunden und zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne automatische Bewährung verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Krasikov Khangoshvili auf Befehl der russischen Behörden getötet hatte.
Krasikov als Austauschkandidat
Nach der Urteilsverkündung erklärte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock: „Dieser staatlich geförderte Mord stellt – wie das Gericht heute festgestellt hat – einen schwerwiegenden Verstoß gegen deutsches Recht und deutsche Souveränität dar.“
Die deutsche Regierung reagierte mit der Ausweisung zweier Angehöriger der russischen Botschaft in Berlin.
![Vier Poster auf Staffeleien, jedes mit dem Foto eines Gesichts und darunter der Aufschrift „Ermordet“ und „Stoppt Putins Terror“. Das Foto auf der Rückseite zeigt Khangoshvili.](https://www.dein-niedersachsen.de/wp-content/uploads/1722642548_764_Vadim-Krasikov-Putins-Trumpfkarte-beim-Gefangenenaustausch.jpg)
Doch nur sechs Monate nach dem Urteil, im Juli 2022, tauchten in der US-Presse Informationen auf, dass Russland die Aufnahme Krasikovs im Austausch gegen in Russland inhaftierte US-Bürger forderte. Zu dieser Zeit handelte es sich bei einer der Gefangenen um die US-Basketballspielerin Brittney Griner. Sie wurde später gegen den russischen Staatsbürger Viktor Bout ausgetauscht, der in den USA eine Gefängnisstrafe wegen Waffenhandels verbüßte.
Der Name Wadim Krasikow fiel auch im Zusammenhang mit den Bemühungen, die Freilassung des russischen Oppositionsführers und scharfen Kremlkritikers Alexej Nawalny zu erreichen. Nach Nawalnys Tod in einer Strafkolonie im Februar erklärte seine Kollegin Maria Pewtschich: “Nawalny hätte innerhalb weniger Tage freigelassen werden müssen, da wir eine Entscheidung über seinen Austausch getroffen hatten. Anfang Februar wurde Putin der FSB-Offizier Wadim Krasikow, der in Berlin eine Gefängnisstrafe wegen Mordes verbüßt, im Austausch gegen zwei US-Bürger und Alexej Nawalny angeboten.”
Entscheidende Änderung im deutschen Strafrecht
Für viele in Deutschland klang die Vorstellung, Krasikov könne gegen einen in Russland inhaftierten Häftling ausgetauscht werden, wie reine Fantasie. Zumal es sich bei dem Mann nicht um einen Spion oder Verräter, sondern um einen verurteilten Mörder handelte. Zudem schloss das deutsche Gericht im Urteil jede Möglichkeit einer vorzeitigen Freilassung aufgrund “besonders schwerwiegender erschwerender Umstände” der Tat aus.
Aber Paragraf 456a der deutschen Strafprozessordnung ermöglicht die Freilassung eines von einem deutschen Gericht verurteilten Straftäters, unabhängig von der Art der Straftat oder des Strafmaßes, wenn dieser „aus deutschem Hoheitsgebiet abgeschoben oder ausgewiesen oder ihm die Einreise verweigert wird“.
Enttäuschung bei der Bundesanwaltschaft
Das bedeutet, dass, wenn nach dem Aufenthaltsrecht von Ausländern in Deutschland entschieden wird, dass ein verurteilter Schwerverbrecher abgeschoben werden soll, die Vollstreckungsbehörde das Urteil aufheben kann. Die Vollstreckungsbehörde ist in diesem Fall der Generalbundesanwalt, der als politischer Beamter verpflichtet ist, behördliche Anordnungen auszuführen. Dieses Verfahren wurde in Deutschland in der Vergangenheit beim Austausch von Spionen angewandt.
Dennoch, die tägliche Frankfurter Allgemeine Zeitung Am Donnerstagabend hatte die Zeitung berichtet, bei der Bundesanwaltschaft herrsche “Enttäuschung” über die Entscheidung von Justizminister Marco Buschmann im Fall Krasikov. Diese sei zwar im Einklang mit dem Gesetz, doch in der Behörde stoße man dafür auf wenig Verständnis, so das Blatt.
“Ausgerechnet in einem Fall, in dem es um einen verurteilten Mörder geht, hat die ‘Macht’ gesiegt”, schrieb die Zeitung. “Die Angehörigen des ermordeten Opfers werden bei der Entscheidung nicht berücksichtigt. Russlands Präsident Wladimir Putin wird zu viel Nachsicht entgegengebracht.”
Am Freitag gab Kremlsprecher Dmitri Peskow schließlich zu, dass Krasikow ein aktiver Offizier des russischen Geheimdienstes FSB sei, und deutete an, dass er mit Putins persönlicher Garde in Verbindung stehe. Dies kommt einem Eingeständnis gleich, dass der Mord an Khangoshvili tatsächlich ein staatlich inszenierter Mord war.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Russisch verfasst.