Angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl haben deutsche Politiker am Donnerstag den gegnerischen Parteien die Schuld gegeben, nachdem am Mittwoch zwei Menschen, darunter ein zweijähriger Junge, tödlich erstochen worden waren.
Die Polizei nahm einen 28-jährigen Afghanen fest. Er wird verdächtigt, in einem Park im bayerischen Aschaffenburg eine Kindergartengruppe angegriffen und dabei einen zweijährigen marokkanischen Jungen sowie einen 41-jährigen Passanten getötet zu haben, der versucht hatte einzugreifen. Drei weitere Personen wurden verletzt, darunter ein zweijähriges syrisches Mädchen.
Ein Gericht ordnete am Donnerstag die vorübergehende Unterbringung des Verdächtigen in einer psychiatrischen Klinik an.
Der Angriff ereignete sich nur einen Monat nach einem tödlichen Auto-Rammangriff in der östlichen Stadt Magdeburg und sechs Monate nach ähnlichen Messerangriffen in den westlichen Städten Solingen und Mannheim.
Und da nur noch ein Monat bis zur Bundestagswahl in Deutschland ist, hat der Vorfall die bereits hitzige Einwanderungsdebatte im Land noch weiter angeheizt.
AfD unterstützt CDU-Forderungen nach Abschiebungen und Grenzkontrollen
Friedrich Merz, Vorsitzender der Mitte-Rechts-Opposition Christdemokraten (CDU) und Favorit auf das Amt des nächsten deutschen Bundeskanzlers, versprach am Donnerstag, im Falle seiner Wahl am ersten Tag seiner Amtszeit dauerhafte Kontrollen an allen deutschen Grenzen anzuordnen.
„Wir stehen vor den Ruinen einer zehnjährigen fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik in Deutschland“, sagte er gegenüber Reportern. Er kritisierte die Migrationsregeln der Europäischen Union als „dysfunktional“ und bestand darauf, dass alle „illegalen Einwanderer“ an der Grenze abgewiesen werden sollten , auch Schutzsuchende.
„Für alle, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen, wird es faktisch ein Einreiseverbot in die Bundesrepublik Deutschland geben“, sagte er.
Merz‘ Vorschlag erhielt Unterstützung von der rechtsextremen Partei Alternative für Deutschland (AfD), die derzeit in den Umfragen auf Platz zwei hinter der CDU liegt.
AfD-Fraktionsvorsitzende und Kanzlerkandidatin Alice Weidel forderte in einem Social-Media-Beitrag „Grenzschließungen und die Abschiebung illegaler (Einwanderer)“ und forderte „keine Firewall-Toten mehr“.
Damit bezog sie sich auf die gängige Weigerung der anderen deutschen Parteien, mit der AfD eine Koalition einzugehen Brandmaueroder Firewall.
Merz hat auch eine Regierungsbildung mit der AfD ausgeschlossen, von der sich die neoliberale FDP eine Rückkehr in die Regierung erhofft. Traditionell ist die FDP ein natürlicher Koalitionspartner der CDU und ihrer bayerischen Schwesterpartei, der Christlich-Sozialen Union. Forderungen der FDP standen im Mittelpunkt der Auflösung einer Drei-Parteien-Koalitionsregierung im November, was zu vorgezogenen Neuwahlen im Februar führte.
„Merz fordert natürlich einen radikalen Wandel“, schrieb FDP-Chef Christian Lindner in den sozialen Medien. „Aber das wird ihm weder mit der (regierenden SPD) noch mit den Grünen gelingen.“
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums forderte auch Sahra Wagenknecht von der selbsternannten, linken, migrationsskeptischen und populistischen Sahra-Wagenknecht-Allianz (BSW) eine „echte Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik“. Sie sagte gegenüber Welt TV, die Behörden hätten „die Kontrolle“ über die nach Deutschland Ausreisenden verloren.

Scholz-Regierung gibt bayerischen Behörden die Schuld …
Während die Oppositionsparteien versuchten, sich als beste potenzielle Kandidaten für eine Nachwahlkoalition mit der CDU zu positionieren, schieben die Regierungsparteien des Landes und die zuständigen Sicherheitsbehörden seit dem Aschaffenburger Tatverdächtigen auch die bayerischen Staatsoberhäupter in die Pflicht bereits eine Abschiebungsanordnung vorliegt.
„In diesem Fall gibt es deutliche Defizite bei der Durchsetzung, insbesondere innerhalb der bayerischen Behörden, die ein massives Problem darstellen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Wahlkampfveranstaltung der SPD im ostdeutschen Erfurt. Er betonte, seine Bundesregierung habe Maßnahmen ergriffen, um Abschiebungen zu erleichtern.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser, ebenfalls SPD-Mitglied von Scholz, wies darauf hin, dass Abschiebungen in der Verantwortung der 16 Bundesländer lägen, und sagte, die bayerischen Behörden müssten „erklären, warum der Angreifer trotz mehrerer Gewaltverbrechen immer noch auf freiem Fuß war“.
„Die laufenden Ermittlungen müssen schnell zeigen, warum sich dieser Verbrecher noch in Deutschland aufhielt und wie Polizei und Justiz vor Ort mit ihm umgegangen sind“, sagte Faeser. „Der Rechtsstaat muss Stärke zeigen, und dazu gehören auch Behörden, Polizei und Gerichte.“

… während Bayern Berlin die Schuld gibt
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) machte jedoch Berlin verantwortlich und warf dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) „Versagen“ vor.
Laut Herrmann hätte der Tatverdächtige im Sommer 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden sollen, doch die entsprechende Anordnung sei den bayerischen Behörden mehrere Wochen zu spät ergangen, da die gesetzliche Frist zur Durchsetzung der Abschiebung bereits abgelaufen sei.
Herrmann behauptete, es habe dann bis Dezember 2024 gedauert, bis das BAMF den Asylantrag des Mannes bearbeitet habe.
„Die Verantwortung liegt allein beim BAMF“, sagte er und forderte Scholz auf, „sich um seine eigenen (Bundes-)Behörden zu kümmern.“
Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wollte die Behörden seines Landes von der Schuld freisprechen.
„Das reicht, das reicht, das reicht“, sagte Söder in München. „Wie viele noch? Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg. Wie geht es weiter?“
Er zeigte auch mit dem Finger auf die Bundesregierung: „Das sind keine Zufälle, sondern das Ergebnis einer Verkettung schlechter Einwanderungspolitik über Jahre hinweg.“
„Die Einwanderung überwältigt unser Land“, fügte er hinzu und stimmte Merz zu, dass „Null-Toleranz und keine Kompromisse die Leitlinien einer künftigen Einwanderungspolitik sein müssen.“

Habeck von den Grünen: „Offensichtlich ist etwas schief gelaufen“
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck forderte eine „selbstkritische“ Bewertung der deutschen Behörden.
„Selbstkritisch bedeutet nicht, dass jedes Ressort sagt: ‚Na ja, wir haben alles richtig gemacht‘“, sagte der Kanzlerkandidat der Grünen. „Denn offensichtlich ist etwas schief gelaufen. Dieser Täter hätte entweder abgeschoben oder zumindest überprüft und vielleicht festgenommen werden sollen. Es wurden Fehler gemacht.“
Das Dickicht der deutschen Bürokratie
Die SPD-Abgeordnete Reem Alabali-Radovan sagte, der Fall des Aschaffenburger Attentäters stelle „einen weiteren katastrophalen Verwaltungsfehler“ dar. Er sagte, die Abschiebung einer „offensichtlich gewalttätigen und psychisch instabilen“ Person nach Afghanistan sei in ein „Dickicht“ der Bürokratie geraten.
Andreas Rosskopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Deutschen Polizei (GdP), sagte, der Fall habe Verwaltungsversagen und fehlende Handlungsoptionen offengelegt. Seiner Ansicht nach agieren „zu viele Gremien eher nebeneinander als miteinander.“