Hochrangige Vertreter der deutschen Mitte-Links-Sozialdemokraten (SPD) sollten sich am Dienstagabend treffen, um zu besprechen, ob Kanzler Olaf Scholz immer noch der richtige Mann ist, um die Partei in die vorgezogenen Neuwahlen im Februar zu führen – oder ob Verteidigungsminister Boris Pistorius es sein würde eine bessere Option.
Die Bundestagswahlen wurden nach dem Scheitern der Dreierkoalition von Scholz am 6. November vorgezogen, was die wichtigsten deutschen Parteien dazu veranlasste, in den Wahlkampfmodus zu wechseln und ihre potenziellen Kandidaten für das Kanzleramt zu nominieren.
Traditionell wird von einem amtierenden Kanzler erwartet, dass er seine Partei in eine Wahl führt, aber da weniger als 100 Tage bis zur Abstimmung verbleiben und Scholz‘ Beliebtheit auf einem Tiefpunkt liegt, mehren sich in der SPD Forderungen nach Veränderungen.
Deutschlands SPD: „Viele Parteikollegen würden Pistorius bevorzugen“
„Das Bild von Kanzler Scholz ist stark mit der Koalition verbunden“, sagten zwei SPD-Landeschefs aus Nordrhein-Westfalen (NRW), dem bevölkerungsreichsten Bundesland Deutschlands, und fügten hinzu, dass sie in ihren Wahlkreisen „viel Unterstützung für Pistorius“ hörten.
„Viele Parteikollegen stehen Scholz sehr kritisch gegenüber und würden Pistorius bevorzugen“, sagte ein anderer SPD-Landesvorsitzender des Landes Niedersachsen. „Wir würden es begrüßen, wenn Scholz darüber nachdenkt und entsprechende Schritte einleitet.“
Auch der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel riet von einem „Weitermachen mit Bundeskanzler Scholz“ ab und warnte, die Partei könne am Ende bei den Umfragen unter 15 Prozent landen, wenn sich nichts ändere. Im mitteldeutschen Bundesland Thüringen prognostizierte der Gothaer SPD-Oberbürgermeister „eine furchtbare Niederlage“ für die Partei, wenn Scholz weitermachen würde.
Unterstützung für Scholz innerhalb der Partei
Scholz selbst ist derzeit beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro und wird voraussichtlich erst am Mittwoch nach Deutschland zurückkehren, dennoch genießt der ehemalige Finanzminister einige Unterstützung.
Am Montag sagten die SPD-Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil, dass die Kandidatur von Scholz nicht zur Debatte stünde, während der Kanzler auch Unterstützung aus seiner Heimatstadt Hamburg erhielt, wo die örtlichen SPD-Führer darauf bestanden, dass Scholz „die richtige Person“ für den Job sei.
Im nahe gelegenen Bremen sagte die SPD-Vorsitzende Gesa Wessolowski-Müller: „Olaf Scholz steht für besonnene Politik für die gesamte Gesellschaft.“
Pistorius erklärt sich selbst zum „Soldaten der Partei“
Auf die Frage nach einer möglichen Kandidatur erklärte Verteidigungsminister Pistorius am Montagabend seine Loyalität gegenüber Scholz und seiner Partei – schloss sich selbst aber nicht aus und scherzte: „Das Einzige, was ich definitiv ausschließen kann, ist, Papst zu werden.“
Pistorius, derzeit laut Umfragen Deutschlands beliebtester Politiker und seit der groß angelegten russischen Invasion vor 1.000 Tagen eine herausragende Rolle bei der Unterstützung Berlins für die Ukraine, bekräftigte stattdessen, dass er ein „zutiefst loyaler Mensch“ und ein „Soldat der Partei“ sei.
„Pistorius ist beliebt, im Gegensatz zu Scholz“, schrieb der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am Dienstag. „Er hat eine starke Figur gemacht im wichtigsten Ministerium, das es derzeit gibt, und er hat eine Aura, die Scholz nicht hat.“
SPD: Die Zeit wird knapp
„Ein Kanzlerputsch mitten im Wahlkampf ist ein unkalkulierbares Risiko“, schrieb die örtliche Tageszeitung Rhein-Zeitung in der westlichen Stadt Koblenz. „Aber Scholz‘ Kommunikationsschwächen, seine mangelnde Selbstkritik und seine erodierende Macht werden der SPD-Führung nicht entgangen sein. Sie muss jetzt handeln.“
Die Partei scheint sich darüber einig zu sein, dass sie entschlossen und schnell handeln muss. „Wir befinden uns derzeit in einem unerwünschten Umbruch“, sagte Vorstandschef Johannes Fechner Die Welt am Dienstag.
„Es ist wichtig, dass die Parteispitze zügig entscheidet“, sagte Philipp Türmer, Vorsitzender der SPD-Jugendgruppe Spiegel. „Wenn es um Scholz geht, muss die Führung auch erklären, wie wir die negative Stimmung umkehren und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.“