Nach Angaben der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA), einer Datenerfassungsstelle des Bundes, hat sich die Zahl der in Deutschland registrierten Angriffe auf Sinti und Roma im Jahr 2023 fast verdoppelt, nämlich auf 1.233 – gegenüber 621 im Jahr 2022.
„Vor dem Hintergrund der Geschichte bereitet uns dies große Sorge“, sagte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Sinti und Roma in Deutschland, zu dem dramatischen Sprung bei der Vorstellung des Berichts in Berlin.
In Deutschland leben etwa 150.000 deutsche Sinti und Roma sowie weitere 100.000 Roma-Migranten.
Sinti und Roma gehörten zu den Menschen, die im Holocaust von den Nazis ausgerottet wurden; etwa 500.000 von ihnen wurden getötet.
Beleidigungen, Drohungen, Vorurteile und Diskriminierung
Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen bezeichnete die anti-Roma-Ressentiments als „traurigen Teil des Alltags“ für die Betroffenen und forderte von Gesellschaft und Politik, sie mit der gleichen Dringlichkeit zu behandeln wie Rassismus und Antisemitismus.
Der Bundesbeauftragte für Antiziganismus, Mehmet Daimagüler, übte insbesondere gegenüber der Polizei Kritik, die im Fokus des Berichts stand.
Bei drei der zehn im Index 2023 dokumentierten „extrem gewalttätigen“ Vorfälle war die Polizei beteiligt; bei einem davon wurden Polizeihunde gegen mit Handschellen gefesselte Häftlinge eingesetzt.
MIA-Vorsitzender Silas Kropf forderte grundlegende Veränderungen bei der Polizei, um systematische Diskriminierung zu bekämpfen.
Daimagüler stellte fest, dass die zugrunde liegende Voreingenommenheit in der Haltung der Polizei gegenüber Roma und Sinti sowie das mangelnde Vertrauen der Roma und Sinti in die Polizei ebenfalls zu einer Unterberichterstattung diskriminierender Vorfälle geführt hätten.
Dennoch sagte Kropf, dass die höhere Zahl gemeldeter Vorfälle nicht unbedingt auf eine Zunahme der Vorfälle zurückzuführen sei – von denen die offiziellen Zahlen möglicherweise nur eine kleine Anzahl tatsächlicher Fälle widerspiegeln –, sondern vielmehr darauf, dass diese nun in sechs deutschen Bundesländern einfacher online, per Post oder Telefon gemeldet werden können.
Insgesamt registrierten die Behörden 50 gewalttätige Angriffe, davon zehn mit “extremer Gewalt”, 46 Drohungen und 27 Fälle von Sachbeschädigung. In 89 Fällen wurden Hinweise auf ein neonazistisches Motiv gefunden.
Vorurteile im deutschen Verwaltungssystem
Laut MIA-Vorsitzendem Kropf seien ein Rechtsruck in der Gesellschaft, das Versäumnis der Politiker, die Diskriminierung der Roma anzuprangern, und die tief verwurzelten Vorurteile im deutschen Verwaltungsapparat letztlich für diese Zahlen verantwortlich.
Die Studie ergab, dass Diskriminierung am häufigsten in Schulen, Wohnorten und Behörden vorkommt. Denkmäler und Gräber von Roma sind oft Zielscheibe von Angriffen – so wurden beispielsweise kürzlich Hakenkreuze auf das Haus eines Holocaust-Überlebenden gemalt – und rassistische Gesänge und Hetze sind weit verbreitet.
Kropf flehte die Bundesregierung an, die Finanzierung des im Oktober 2021 gegründeten MIA zu verlängern, damit dieses sich weiterhin ein realistischeres Bild vom Ausmaß der anti-Roma-Stimmung in der deutschen Gesellschaft machen könne.
Der Bundesbeauftragte für Antiziganismus, Mehmet Daimagüler, bezeichnete den Mangel an öffentlicher Empörung über die Diskriminierung der Roma als „beschämend“ und fragte: „Wo ist die Empörung der Gesellschaft?“
js/lo (AFP, dpa, epd, KNA)