Deutschland: Tausende protestieren nach Angriff auf EU-Gesetzgeber

von Otto Hofmann
4 Minuten Lesedauer

Tausende Demonstranten versammelten sich am Sonntag auf den Straßen von Dresden und Berlin, um gegen Rechtsextremismus und politische Gewalt zu protestieren, nachdem es am Freitag zu einem Angriff auf den SPD-Abgeordneten und Europaabgeordneten Matthias Ecke gekommen war.

Ecke wurde in Dresden angegriffen, als er im Vorfeld der Europawahl im Juni Plakate aufhängte. Er wurde so heftig geschlagen, dass er notoperiert werden musste und weiterhin im Krankenhaus liegt.

„Es ist ganz klar, dass diese Gewaltbereitschaft nicht im luftleeren Raum entstanden ist“, sagte SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken vor den Sonntagsdemonstrationen.

Nach Angaben der Polizei versammelten sich etwa 1.000 Menschen vor dem berühmten Brandenburger Tor in Berlin, um ihre Unterstützung für die Demokratie auszudrücken und sich gegen Rechtsextremismus zu stellen.

In Dresden schätzten Polizei und Veranstalter die Zahl der Teilnehmer auf rund 3.000.

In seiner Ansprache an die Menschenmenge in Dresden sagte Esken, rechtsextreme Parteien, die Unzufriedenheit und Missachtung der Demokratie säten, seien für die jüngste Flut von Vorfällen verantwortlich, bei denen es um verbale und körperliche Angriffe auf Politiker ging.

„Insofern sind diese Menschen, die gedroht haben, uns zu jagen, dieses Land zu säubern, auszumisten, auch mitverantwortlich für das gesellschaftliche Klima, in dem solche Taten möglich sind“, sagte Esken; Bundeskulturministerin Claudia Roth und die sächsische Justizministerin Katja Meier, beide Grüne, schlossen sich ihr an.

Initiator der Proteste waren die Gruppen „Zusammen gegen Rechts“ in Berlin und „Wir sind die Brandmauer Dresden“ in Dresden.

Eine Menschenmenge versammelte sich vor dem Brandenburger Tor in Berlin, um gegen politische Gewalt zu protestieren
Auch in Berlin kamen rund 1.000 Demonstranten, um ihre Unterstützung für die Demokratie und die Verurteilung politischer Gewalt zum Ausdruck zu bringen

Was geschah beim Freitagsangriff auf Matthias Ecke?

Die Polizei in Dresden sagte, Matthias Ecke sei am Freitagabend von einer Gruppe vier junger Männer, die laut Augenzeugen offenbar zwischen 17 und 20 Jahre alt waren, zunächst verbal angegriffen und dann körperlich geschlagen worden.

Ein Tatverdächtiger, ein 17-Jähriger, stellte sich am Sonntag.

Augenzeugen sagten der Polizei außerdem, dass die Täter dunkel gekleidet gewesen seien und offenbar zur rechtsextremen Szene gehörten.

Nur wenige Minuten vor dem Angriff auf Ecke soll die Gruppe auch einen Mitarbeiter der Grünen geschlagen haben, der im selben Viertel Wahlkampfplakate aufgehängt hatte.

Reaktion auf die wachsende rechtsextreme Dynamik

Rechtsextreme und extremistische Gruppen und politische Parteien, allen voran die Alternative für Deutschland (AfD), haben in vielen ostdeutschen Bundesländern, darunter auch Sachsen, eine starke Basis.

Die AfD hat in den Umfragen einen Höhenflug hinter sich und ist nach der Mitte-Rechts-Christdemokraten (CDU) die zweitbeliebteste Partei in Deutschland. Auch im Vorfeld der sächsischen Landtagswahl später in diesem Jahr liegt die Partei an der Spitze der Umfragen.

Der Aufstieg der AfD und die Unterstützung einer rechtsextremen Politik haben jedoch auch Gegendemonstrationen und eine Diskussion über ein mögliches Verbot der Partei ausgelöst.

Im vergangenen Jahr nahmen AfD-Mitglieder unter anderem an einem Treffen von Rechtsextremisten und Neonazis in Potsdam vor den Toren Berlins teil, bei dem über die Abschiebung von Einwanderern und teilweise auch deutschen Staatsbürgern diskutiert wurde.

Die Veröffentlichung von Berichten der investigativen Journalistengruppe Correctiv über das Potsdamer Treffen löste im Januar dieses Jahres bundesweite Proteste gegen die Rechtsextremen aus.

Die AfD wird seit langem vom deutschen Inlandsgeheimdienst wegen des Verdachts, eine rechtsextreme Organisation zu sein, überwacht, doch deutschen Medienberichten zufolge könnte der Geheimdienst die AfD bald als „eindeutig extremistisches Unterfangen“ bezeichnen.

Deutsche und EU-Politiker verurteilen Angriffe

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat zu einem Treffen mit ihren Landeskollegen einberufen, um die Zunahme politischer Gewalt in ganz Deutschland im Vorfeld der EU-Wahlen zu besprechen.

„Der Rechtsstaat muss und wird darauf mit einem harten Vorgehen und weiteren Schutzmaßnahmen für die demokratischen Kräfte in unserem Land reagieren“, sagte sie am Samstag.

Obwohl der Angriff auf Ecke vielleicht der bekannteste Fall politischer Gewalt der letzten Zeit ist, ist er sicherlich nicht der einzige, da in den letzten Wochen auch mehrere andere politische Aktivisten angegriffen wurden.

So wurden am Donnerstag in der Weststadt Essen nach einer Wahlkampfveranstaltung der Bundestagsabgeordnete Kai Gehring und der Kommunalpolitiker Rolf Fliss, beide Grüne, angegriffen.

Tatsächlich haben die Grünen nach einer Anschlagsserie am vergangenen Wochenende damit aufgehört, Parteimitglieder in die sächsischen Städte Chemnitz und Zwickau zu schicken, um dort selbst Plakate aufzuhängen.

Fabian Funke, der wie Ecke Mitglied der Sozialdemokraten ist, sprach mit der DW über die jüngsten Angriffe auf Politiker in Deutschland und die Gefahr, die sie für die Demokratie darstellen.

„Wir sehen, dass diese feindseligen Angriffe auf Menschen im Wahlkampf zunehmen“, sagte er. „Ich denke, das ist wirklich eine gefährliche Zeit, auch für den Zustand unserer Demokratie.“

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) prangerte die „Bedrohung“ rechtsextremer politischer Gewalt an.

„Die Demokratie wird durch solche Taten bedroht“, sagte Scholz auf einem Kongress europäischer sozialistischer Parteien in Berlin und sagte, dass solche Angriffe das Ergebnis „der Atmosphäre sind, die durch den Diskurs, Menschen gegeneinander auszuspielen, entsteht.“

„Wir dürfen solche Gewalt niemals akzeptieren, wir müssen ihr gemeinsam entgegentreten“, sagte Scholz.

Auch außerhalb Deutschlands äußerte sich EU-Außenbeauftragter Josep Borrell zu den Angriffen: „Wir erleben inakzeptable Episoden der Schikanen gegen politische Vertreter und einen wachsenden Rechtsextremismus, der uns an dunkle Zeiten der Vergangenheit erinnert.“

js,ab/sms (dpa, AFP)

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